top of page

Gib mir Authentizitätität

In einer Ausgabe des TV-Formats Kurzstrecke mit Pierre M. Krause schlurft der Schauspieler Lars Eidinger neben dem Moderator Krause durch Hamburg. Die Anordnung ist bekannt. Hier der Feuilleton-Liebling. Dort der Zuschauende, dessen Meinung zu Eidinger zwischen tiefer Bewunderung und der latenten Furcht oszilliert, den Mimen eines Tages als gesuchten Serienkiller in der Tagesschau zu sehen. Die ganz große deutsche Theaterbühne sozusagen. Eidinger, in einer offenen Jacke mit Leo-Print, erzählt dem kichernden Krause die Geschichte des kleinen 18-jährigen Lars, der genau hier bei dem Musiklabel K7 seinen ersten Plattenvertrag unterschrieben hat. Im Anschluss war Eidinger zu den Landungsbrücken gelaufen, um auf die Elbe zu starren. Nach eigener Aussage ziemlich bekifft, aber ungemein glücklich. Als ich meinen ersten Buchvertrag unterschrieben hatte war ich nüchtern, und die Zweifel setzten ein.

 

Als mir der Verlag die Druckfahnen davon schickte, was später mein Debütroman Crazy Land werden sollte, wurde es ernst. Denn mit jedem Tag wuchs die Sorge, dass nun die Welt von der eigenen Unfähigkeit erfahren würde. Dass man nichts kann und nie etwas konnte, nichts zu sagen hat und niemals etwas zu sagen haben wird, was mit Sicherheit noch viel niederschmetternder ist. Dieser Angst ist so alt, wie die Kunst selbst. Vielleicht sogar die Urangst, die uns durch das Leben begleitet, eine unbestimmte Angst vor dem Verlust von Sicherheit und Kontrolle. Dann nämlich, wenn das eigene Werk hinaus auf die Weltbühne tritt. Geradewegs in Denis Schecks Sendung Druckfrisch zum Beispiel, in der bisweilen eine Neuerscheinung nach der anderen über ein Transportband abwärts, geradewegs in die Versenkung geschickt wird. Dabei habe ich gar keine Angst vor Denis Scheck und dieser unverstellten Form der Kritik.

 

Stattdessen habe ich die Sorge, dass wir alle eine Rolle spielen auf der globalen Bühne, die wir Kultur nennen. Und ich meine besonders unaufrichtig. Es ist die Angst, dass die eigene künstlerische Arbeit in Wirklichkeit gar nicht so gut ankommt. Doch dass der Gegenüber seine Rolle so authentisch spielt, dass ich gar nicht checke, wie desaströs er das alles eigentlich findet. Ein Gähnen hinter der Grinsebacke. Knallhart in die eigene Eitelkeit hinein. Diese Gedanken erinnern mich an die berühmte Szene in Sartres Das Sein und das Nichts, in dem das Verhalten eines Kaffeehauskellners wie ein Spiel wirkt. Er spielt das Kellner-Sein. Dabei schlüpft er in die Rolle des Bildes, das wir von einem Kellner haben. Die Gestik, das Granteln, das Gefühl ihn bei etwas ungemein wichtigem zu stören, die steife Oberlippe, all das passt zu seiner Figur.

 

Diesem Gedanken entspringt die Sorge nicht zu merken, dass ich mich überschätze. Eben weil der Gegenüber seine soziale Rolle so authentisch spielt. Und weil ich mir nicht erklären kann, wie das alles so kam, der Buchvertrag und die Premiere in der vierstöckigen Thalia-Filiale in Wien. Und warum dort eben Menschen saßen, die sich das freiwillig anhörten, was ich einmal geschrieben hatte. Alles an diesem Abend stellte den Bezug zur Realität her. Die Gäste spielten ihre Rollen auf der sozialen Bühne. Nichts anderes wurde von ihnen verlangt. Sie waren der Verleger, die PR-Agentin, der Thalia-Mitarbeiter, die beste Freundin, der neugierige Passant, die geladenen Gäste. Das waren ihre Aufgaben an diesem wunderbaren Abend. Und doch fühlte es sich sehr nach The Truman Show an. Nach einem Bruch mit der Illusion, so wie es Bertolt Brecht in der epischen Theatertradition anstrebte. Wobei die Zuschauenden niemals die Rolle vergessen sollten, sondern immer wissen, dass er oder sie Theater sieht. Wie also umgehen mit diesem Gefühl?

 

Muss ich darauf vertrauen, dass meine Mitmenschen ihre Rollen glaubwürdig spielen,

und ich meine und wir zusammen echte Gefühle erzeugen und uns am Ende eines jeden Tages voreinander verbeugen? Oder muss ich einsehen, dass diese große Lüge, sich selbst und anderen etwas vorzumachen, untrennbar zum Menschsein gehört?

Vielleicht auch nichts davon. Vielleicht reicht es diese Gedanken fortzuwischen und einfach weiter zu machen. Solange, bis man sich selbst einmal glaubt, dass das, was man macht, doch ganz okay ist. Solange, bis sich etwas aus dem eigenen Werk schält, das genug Kraft hat, um mich zu beruhigen. Und die anderen zu überzeugen. Denn eines darf die Angst nicht: uns am Weitermachen hindern – am Denken und Forschen, am Schreiben und Spielen.

 

Aktuell schreibe ich an meinem zweiten Roman, denn ich glaube, dass das die Folgehandlung ist, die in meiner Rolle angelegt ist. Ich mache mir das einfach mal selbst vor. Und ja, die Rolle des Schriftstellers macht mir ziemlich große Freude. Und darauf kommt es doch im Grunde an. Ganz egal, was oder wen wir spielen. Spaß an dem zu haben, was wir machen. Auch wenn das bedeutet jeden Tag wieder diesen Berg hinaufzurennen, der sich einem in den Weg stellt. Selbst dann, wenn man ganz nach dem Mantra Martin Kippenbergers auch einfach um diesen herumgehen könnte. Und wenn nichts mehr hilft, dann suche ich mir einfach eine andere Rolle. Vielleicht sogar etwas Anständiges. Vielleicht werde ich Pilot. Stellen Sie sich nur einmal den Kapitän eines Linienfliegers von easyJet vor. Hamburg Airport Helmut Schmidt. Kurz vor Abflug nach Zürich. Regen, Wolken, starker Wind. Schietwetter. Der Commander blickt zu seinem First Officer, plötzlich von einer tiefen Unsicherheit gepeinigt. Ein Blick, der sagt: Kann ich das überhaupt, ein Flugzeug fliegen? Spiele ich meine Rolle authentisch? Nehmen mir die Fluggäste die Rolle des Piloten ab?

Eigentlich möchte er doch nur im Regen an den Landungsbrücken stehen. Aber er sieht die blaue Rollwegbeleuchtung. Und er denkt an die Alster.

 

easyJet three four five, runway two five right, cleared for takeoff, murmelt der Fluglotse über Funk. Und dem Commander dämmert: es gibt keinen Weg zurück. The stage is yours.

bottom of page