Money for nothing, chicks for free
Also, es fängt damit an, dass ich in München mit meinem roten Porsche 944 an der Ampel stehe und mein Herz ganz fürchterlich zu rasen beginnt. Genauer gesagt stehe ich in Nymphenburg auf der Südlichen Auffahrtsallee und neben mir grinst so ein alter Tattergreis in seiner C-Klasse. Ich weiß ganz genau, dass er mich beobachtet und sich seine alten Gedanken zurecht legt. Aber vielleicht denkt er auch gar nicht mehr, weil alte Menschen dazu ja oft tendieren. Also das Denken einzustellen und Vernunft gegen pauschale Urteile einzutauschen.
Naja, auf jeden Fall beginnt mein Herz zu rasen. Und ich muss mich wirklich zusammenreißen nicht sofort loszuheulen. Gar nicht so wegen dem Rasen. Daran habe ich mich gewöhnt. Ich habe mich auch an die Blicke meiner Mitmenschen gewöhnt, wenn ich mal wieder auf der Straße zusammensacke, meistens, nachdem ich mich selbst für einige Zeit in der Fensterfront von Bottega Veneta oder Alden betrachtet habe.
Nun könnte man meinen, ich ertrage meine eigenes Abbild nicht. Doch ist dem nicht so, nein. Ich bin eigentlich ganz zufrieden mit mir. Also bis jetzt war es jedoch nicht so, dass mein Herz einen Sprung zu machen scheint. Dass es hinauf steigen möchte zum Holy Almighty. Dass ich die Erde, auf der ich stehe, küssen und die ganze Welt umarmen möchte. Nur, weil ich meine grünen Augen so scharf finde. Oder ich meine Grübchen besonders anziehend.
Doch nun stehe ich eben in meinem matt-rotem Porsche auf der Südlichen Auffahrtsallee und möchte selbst den Alten in seinem Mercedes in den Arm schließen, so glücklich bin ich, so unbegreiflich von Glück getränkt. Ich bin so wahnsinnig glücklich ich zu sein. Und an jedem verdammten Tag das Privileg genießen zu dürfen, mich zu sehen.
Als ich losfahre nickt mir der Mann zu. Er macht das wirklich ganz langsam, sodass ich mir nicht sicher bin, ob er überhaupt noch die Kontrolle über solche sehr alltäglichen Bewegungen hat. Ich fahre also weiter. Doch weil mein Herz noch immer so rast, muss ich den Porsche noch vor meinem Haus in der Einfahrt nur weniger Meter vor einer Greisin zum stehen bringen. Die schreit auf. Sie kreischt richtig und ich denke kurz darüber nach, das Gaspedal doch noch ein letztes Mal durchzudrücken und die Frau durch das weiße Gartentor zu schieben. Vielleicht kreischt die alte auch, weil ich kurz wirklich auf dem Gaspedal stehe und der Porsche richtig aufheult, ehe ich scharf bremse. Schade. Im Nachhinein. Naja. Auf jeden Fall rast mein Herz und ich steige aus und lasse den Wagen mitten in der Einfahrt stehen. Ich schließe nicht einmal ab. Warum auch? Ich wohne ja nicht in Sendling.
Zuhause lege ich mich auf das mein Sofa von Cassina. Meine weinroten Loafer lasse ich an. Das Sofa ist aus dem Jahr 1969, aber so sieht es gar nicht aus, weil es natürlich in einem mega guten Zustand ist. Draußen senkt sich die Sonne, doch weil es noch immer so drückend warm ist, lasse ich die Fenster geöffnet und höre dem Rauschen des Windes zu, der sich in den beiden alten Kastanien vor meinem Wohnzimmer verfängt.
Ich wohne in einer Maisonette-Wohnung. Unter mir residiert ein pensionierter Anwalt für Unternehmensrecht, der über 40 Jahre Unternehmen aus der Stahlindustrie beraten hat. Vielleicht stimmt das auch gar nicht. So wirklich habe ich ihm nicht zugehört, als er mir einmal bei einem Gartenfest der Hausgemeinschaft davon berichtet hat, wie einfach das Recht des Stärkeren durchzusetzen ist, wenn man eine Horde hochgezahlter Juristen auf ein kleines mittelständisches Unternehmen loslässt. Ich erinnere mich, dass der Mann, Walter Stadler heißt er, dabei genauso langsam genickt hat, wie der Alte in seinem Mercedes. Ganz so als wäre das Recht des Stärkeren eine Erkenntnis, die ihm just in diesem Augenblick in sein Melonen-Hirn eingeschossen ist. Aber aber ob sich das wirklich so zugetragen hat?
Man möge mir verzeihen, allzu abgelenkt war ich, schwankend nach einer Flasche Chablis, von einer sehr jungen Frau, die ich nur an diesem Abend gesehen habe und danach nie wieder. Es war gar nicht so sehr ihr Aussehen, als das nervöse Fummeln an ihrem hellen Hermès Kleid. Dazu dieses Kichern, das wohl Zustimmung signalisieren sollte. Dabei hat sie immerzu den Kopf so zurück geworfen. Irgendwann bin ich einfach wieder in meine Wohnung hinauf gewankt, ohne mich von jemandem zu verabschieden. Ich glaube, ich haben keinen guten Eindruck hinterlassen. Auf jeden Fall wurde ich in diesem Jahr nicht mehr eingeladen.
Stattdessen habe ich einige Zeit lang den Stimmen im Garten gelauscht, ehe ich in hoher Lautstärke über meine Bang & Olufsen Lautsprecher das zweite Blur Album „Modern Life is rubbish“ abgespielt habe. Und gerade als Damon Albarn in dem Song „Blue Jeans“ darüber sang, dass der Landlord das arme Mädchen innerhalb einer Woche auf die Straße setzen wird, what a shame she was just getting comfy, verstummten die Stimmen und dann knallte eine Türe. Niemals war ich zufriedener.
Also, auf jeden Fall liege ich jetzt auf dem Sofa und habe die Augen geschlossen. Die rechte Hand liegt in der Nähe meiner Lenden, und so denke ich über mein Leben nach. Darüber warum ich jeden Morgen in diese Werbeagentur fahre, wo ich Headlines für Versicherungen oder Biermarken texte oder mir Konzepte ausdenke. Ich bin ziemlich gut darin und man bezahlt mir eine unverschämt große Stange Geld dafür. Eigentlich zu viel, da möchte ich ganz ehrlich sein, denn vieles ist Routine und das meiste plump. Die Mutlosigkeit der Gesellschaft zieht sich auch bis in die Räume der Entscheidungsträger großer internationaler Corporates. Niemand möchte mehr Headlines für einen BMW freigeben, die heißen „Unser Angebot zum Weltfrauentag: Das Auto, das sich an der Ampel selbst abwürgt. BMW 1er mit Auto Start Stop Funktion.“
Und weil das alles eben so mutlos geworden ist, werden wir angehalten immer auf die simpelste Lösung zu gehen. Ich meine „Sahnig. Fruchtig. Frisch.“… was ist das für ein seelenloser Schwachsinn?
Ich bekomme also viel zu viel Geld dafür, Alliterationen oder Reime für einen Sahne-Jogurt zu entwickeln. Und weil mir aber Geld keine große Freude bereitet und um es auszugeben mir meistens sowohl die Zeit als auch die Lust fehlt, habe ich davon ziemlich viel auf drei unterschiedlichen Konten. Nur für Schuhe und Klamotten gebe ich viel Geld aus. Am allerliebsten trage ich Belgians. Und Anzüge aus englischen oder italienischen Stoffen, mit englischen Schnitten aus der Saville Road in London. Und Hemden aus Giro Inglese. Dieses Netzgewebe fühlt sich so an, als würde eine fremde Hand den Körper abfahren. Oft stelle ich mich so in einen Luftzug, einfach nur damit der Stoff auf meiner Haut sanft entlang streicht. Aber ich schweife ab. Eigentlich bin ich sehr bodenständig.
Ich muss wohl eingeschlafen sein, denn plötzlich höre ich einen entsetzlichen Schrei und ich schrecke hoch, noch voll und ganz eingehüllt in dieses dumpfe Gefühl, diese Taubheit und tiefe Niedergeschlagenheit, die einen nach einem Erwachen aus einem kurzen, tiefen Schlaf lähmt. Mein Nacken schmerzt. Und da merke ich erst, dass mein Oberkörper von dem Sofa und zu Boden gerutscht ist. Nur meine Beine liegen noch so merkwürdig Gregor-Samsa-artig oben. Draußen ist es noch immer ein ein klein wenig hell. Und in diesem Moment kann ich gar nicht zuordnen, wie lange ich geschlafen habe. Oder warum überhaupt.
Wozu schlafen?
Wozu dieses Elementare, das einen nicht voran bringt, nur wegträgt und doch an so einen Ort wie diesen hier bindet, dort, wo kein weiterer Sinn ist, nur Schlaf und Tod und Leben und Aufstehen und Butterbrote mit gesalzener Butter von Isigny Sainte-Mère und Feigensenf und die Bier, die hat so schön geprickelt in meinem Bauchnabel und Kim Gordon und Clarence Carter und dieser Schrei, der auch jetzt wirklich so klingt als würde die menschliche Seele zum ersten Mal das Licht der Welt erblicken. Ich habe einen metallischen Geschmack im Mund. Bevor ich hinabgehe, um nachzuschauen wie ernst die Lage ist, betrachte ich mein Profil im dem großen Wandspiegel, der im meinem Flur hängt. Mit dem Zeigefinger fahre ich zärtlich meinen Nasenrücken entlang, meine Oberlippe, meinen Hals.
Im Treppenhaus riecht es nach einem süßlichen Parkettreiniger. Ich mache kein Licht. Alles ist fürchterlich deprimierend. Nicht nur das Knarzen bei jedem Schritt, nicht nur der Umstand, dass in diesem Haus außer dem Alten und mir niemand sonst lebt, nicht die Stille, die nach jedem neuen Schrei eintritt und jedes Geräusch dieser Erde mitzunehmen scheint. Einfach alles. Ich klingle. Und warte.
Nach einiger Augenblicken klingle ich ein zweites Mal, ich klopfe sogar mit den Knöcheln meiner Hand, ganz zaghaft wie ein Vater, der seinen Sohnemann lieber nicht beim masturbieren zu Ariana Grande oder Tom Holland überraschen möchte.
Dann laufe ich einmal um das Haus herum. Aber weil das hier eben nicht Sendling ist, versperrt mir natürlich so eine beschissene Hecke den Übergang in den Garten, der hinter dem Haus liegt. Verdammt, denke, verdammte Scheiße, jetzt rächt es sich, dass ich noch immer meinen nachtblauen karierten Anzug von Herr von Eden trage, den ich letztes Jahr in Hamburg gekauft habe.
Doch weil mich ein dumpfes Gefühl immer weiter trägt, hänge ich schon bald mit den Beinen in der Hecke, und natürlich höre ich wie der Anzug in der Kniekehle an einem Ast hängen bleibt und aufreißt. Verdammt, fluche ich, verdammtes Leinen.
Der Garten von dem Alten weckt wieder diese Erinnerungen an das Sommerfest und kurz bin ich wirklich deprimiert. Nicht nur, dass ich mich nicht näher mit der Freundin des Alten beschäftigt habe, als ich noch die Möglichkeit dazu hatte. Ich bin wirklich traurig über die verpasste Chance, sie damals nicht an der Hand genommen und zu einem der Sitzgruppen unter den Kastanien geführt zu haben. Mit einer Flasche Roederer und dann hätten wir gesprochen, über Ihre Wünsche nach Beständigkeit und über die Farben der Welt, Erinnerungen an die Kindheit geteilt, was auch immer man so macht, wenn man jemanden kennenlernt. Mir tut es auch um den Alten leid und dass ich dann eben ein Jahr später „Blur“ über die Boxen abgespielt und damit allen Gästen den Abend versaut habe. Aber allen voran tut es mir um die Frau leid, dass sie sich den ganzen Abend diese Unternehmensgeschichten hat anhören müssen.
Weil ich mir das alles so en détail überlege, habe ich gar nicht bemerkt, wie ich mich in einen der Gartenstühle aus Holz gesetzt habe. Ich habe auch komplett vergessen, warum ich hier bin. Doch dann fallen mir diese markerschütternden Schreie wieder ein. Ich schlendere also zur Glasschiebetüre und schiele hinein. Und dabei sehe ich natürlich erstmal wenig und dann nur mein eigenes Spiegelbild, was ich eingehend betrachte, bis mein Herz wieder zu Rasen beginnt, so wie vorhin im Porsche. Ich drehe und wende mich. Dann befühle ich meinen Bizeps, fahre über meinen oberen Brustmuskel.
Die Türe steht einen Spalt offen. Dort liegt der Alte, irgendwie so ganz merkwürdig in sich verdreht, halb auf dem Kopf, halb mit dem Arm, an dem eine goldenen Cartier hängt, abgestützt, zwischen einem blauen Mid Century Lounge Chair von Ole Wäscher und einem riesigen Globus. Das schaut irgendwie lächerlich aus, weil man sich ja nie vorstellt, wie man nach einem Herzanfall zusammensackt und dann eben genau so liegen bleibt, als wäre von einer einem lustlosen Puppenspieler so drapiert worden. Irgendwie ziemlich würdelos, denke ich und blicke mich neugierig in dem Raum um.
Der gleicht nämlich gar nicht meinem Wohnzimmer. Stattdessen hat der Alte eine ganze Wand zur Küche entfernen lassen, sodass der Raum wie die Wohnung aus einer Anzeige für Poliform im Magazin der FAZ wirkt. Ach herrje, du eitler geiler Bock.
Als endlich die beiden Rettungssanitäter kommen, schimpfen die erstmal über einen roten Porsche 911, der ihnen in der Einfahrt den Weg versperrt hat. Dabei mustern mich einer der beiden. Das ist so ein junger, sehr schmaler, sehr großer Typ, den man sich wunderbar als den nervigen alten Jugendfreund vorstellen kann, der eines Tages beschließt ernst zu machen, Erwachsen zu werden und einen immerzu mit einem schrägen Kopf und angestrengt anblickt, wenn man ihm erzählt, wie verkatert man gerade ist. Alles an ihm schreit nach 42 Zoll Fernseher. Nach Serien-Abenden mit der Freundin, nach Ausflügen an den Walchensee, nach Jahresurlaub, nach Gym, nach Mittelmäßigkeit.
Sein Haar ist ganz kurz und zur Seite gegelt, so wie es Toni Kroos auch trägt.
Ich spüre, dass er weiß, dass ich weiß, dass er weiß, dass es sich um mein Auto in der Einfahrt handelt. Wir beiden schweigen, während wir uns anblicken und sein Kollege dem Alten gerade eine Infusion legt. Ich fürchte, er erwartet eine Entschuldigung oder zumindest eine Erklärung. Aber ich murmle lediglich, dass es sich um einen Porsche 944 handelt. Nur Angeber fahren 911.
Als die beiden dann endlich den Alten auf einer Liege durch die Wohnung hinaus zu ihrem Rettungswagen schieben, zischt mir der Toni-Kroos-Look-A-Like noch zu, dass mein rasches Einschreiten dem Herr Stadler wahrscheinlich das Leben gerettet hat. Ich weiß nicht, ob er dazu verpflichtet ist. Statt einer Antwort zwinkere ich ihm zu.
Ich schließe die Türe und folge der Gruppe hinaus auf die Straße. Es ist noch immer angenehm warm.
Die Abfahrt des Rettungswagen warte ich gar nicht erst ab, sondern ich steige vor den Augen des Sanitäters in meinen Porsche. Doch weil ich mir dabei irgendwie dann albern vorkomme, schalte ich rasch das Radio ein. Der eingestellte Sender ist natürlich Bayern 3. Gerade spielen sie Hotel California, was irgendwie absurd ist, doch andererseits ganz gut zu der Szene passt. Her mind is Tiffany twisted, she got the Mercedes Benz, uh, she got a lot of pretty-pretty boys. Ich fahre das Verdeck zurück und brause davon.
Links zieht der Nymphenburgerkanal mit seinen Schwänen und den Touristen vorbei. Zwei Mädchen laufen zögernd bis an das Ufer, die eine dreht sich und die andere lacht und sie scheinen beide so leicht zu sein, ganz so als würden sie bei der nächsten Böe emporgehoben und mit getragen werden. So fühle auch ich mich.
Und so fahre ich auch, fahre wie auf Sohlen aus Filz, schwerelos gleitend, während Rechts die Einfamilienhäuser vorbei ziehen, mit ihren kleinen Pools, den Planschbecken, den Männern in Shorts, den Frauen in Blumenkleider, den Kindern ohne Vergangenheit und lediglich mit einer Zukunft, die so vielversprechend hell ist, dass es in den Augen brennt.
Im Radio fährt gerade diese unfassbare Falsette Stimme im Intro von „Money for Nothing“ von Dire Straits hoch, die immer so klingt als würde Mark Knopfler auf einem Berg in New Mexico stehen, die Sonne geht unter und er erwartet die Ankunft der Aliens. Es folgt der Synthesizer, das Schlagzeug, die Gitarre. Und mit jeder Note bilden sich vor mir Bilder. Ich, kniend vor dem Alten, mein Bizeps spannt sich, während ich den weichen, schweren Körper in die stabile Seitenlage wuchte. Gut schaue ich dabei aus, aktiv, dynamisch, beinah wie ein ein junger Römer, dem die Haare ins Gesicht fallen. Ach, wie glücklich ich bei diesen Gedanken bin und mein Herz rast und ich habe eine Gänsehaut, die mit Sicherheit nicht nur vom kühlen Fahrtwind kommt. Mit der linken Hand halte ich das Lenkrad, und weil das gar nicht so schwer ist, weil die Südliche Auffahrtsallee ja eigentlich immer nur gerade auf das Schloss zu führt, fahre ich mir mit der rechten Hand in mein weißes Giro Inglese Hemd. Dazu muss ich noch einen Knopf öffnen, was den Kragen nun wie wild flattern lässt und es fühlt sie nun so an, als würde eine fremde Hand über meine Brust streicheln. Aber zum Glück ist es meine Hand, meine ganz eigenen Hand, die meine wunderschöne Brust streichelt, während ich mir im Rückspiegel in meine eigenen wunderschönen grünen Augen blicke. Mei
You play the guitar on the MTV, that ain’t working, that’s the way you do it, money for nothing and your chicks for free.